Ein Ort macht auf
Schon bevor die ersten Flüchtlinge ankamen, stand in Münster-Sarmsheim eine Willkommenskultur bereit. Inzwischen hat die Gemeinde 140 Menschen aufgenommen – und viele Bürger haben so regen Kontakt wie nie zuvor
Text: Benno Stieber
Photos: Jochen Sand
Erschienen im Enorm-Magazin 06 / 2016
Wenn man Nicola Frowein fragt, was man am dringendsten braucht, wenn man eine Flüchtlings-Initiative wie ihre auf die Beine stellt, sagt sie mit ihrer ruhigen, resoluten Stimme: „Geduld und Humor“. Bei den Übersetzungen von Google zum Beispiel, die oft die einzige Möglichkeit sind, sich mit den Neuankömmlingen zu verständigen: Neulich wollte sie einer Frau in der Flüchtlingsunterkuft per Whats-App Salbei-Tee für ihre Erkältung empfehlen. Was die automatische Übersetzungshilfe daraus gemacht hat, weiß sie bis heute nicht: „Jedenfalls haben alle Männer im Wohnheim sehr gelacht“.
Münster-Sarmsheim, zwei Örtchen vereint zu einer so genannten Verbandsgemeinde zwischen Rhein und Nahe. Als im Herbst 2014 mit den ersten Flüchtlingen auch Meldungen von fremdenfeindlichen Protesten und Brandanschlägen kamen, wollten Roland Beek, Nicola Frowein und ein Kreis wacher Bürger helfen, damit es hier anders läuft. Sie veranstalteten Vorbereitungsabende für interessierte Bürger und suchten Wohnungen für Flüchtlinge am Ort und sie gründeten WIMS, „Willkommen in Münster-Sarmsheim“. Bald kamen die Ersten aus Syrien und Eritrea, kurz darauf ganz viele. Und es geschah was an vielen Orten passierte, aus Idealismus wurde praktische Lebenshilfe.
Roland Beek sitzt in der Küche der Froweins beim Tee. Er berichtet von den Anfängen, als „zwanzig Helfer nur vier Flüchtlinge betüddelt haben“. Für die vier hatte man schnell eine Wohnung, Möbel und Kleidung vorbei. Sie nahmen sie mit zu den Festen im Dorf.
Mit 140 Flüchtlingen die heute am Rand des Ortes untergebracht sind, ist das nicht mehr ganz so einfach. Er habe viel dazu gelernt, berichtet Beek. Da seien Teenager aus Marokko gekommen, die hatten Verwandte in Bonn, die wollten gar nicht integriert werden. Oder Zacharia, der vielen im Ort schon zum Freund geworden war, ging plötzlich, weil er wo anders einen Job gefunden hatte. Kleine und manchmal auch größere Enttäuschungen, mit denen auch die Helfer zurecht kommen mussten. „Das sind eben ganz normale Menschen die da zu uns kommen.“
Und jetzt die Flüchtlingsunterkunft am Stadtrand. Ein ehemaliges Hotel zwar, aber mit dem ursprünglichen Integrationskonzept mit eigenen Wohnungen mitten im Ort ist es nun vorbei. Doch der Unterstützerkreis hat nichts an Schwung verloren. Denn es ist etwas gelungen, was vielleicht viel schwieriger ist. Die Geflüchteten haben Münster-Sarmsheim verändert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kleiderbank.
Den Kern der Verbandsgemeinde bildet ein geleckter Dorfplatz, ein Bäcker ist noch da, viele Winzer und ein, zwei Gasthäuser. Supermärkte oder gar Läden konnten sich hier aber nie halten. Die Sparkasse hat erst vor wenigen Monaten ihre Filiale geschlossen und ganz auf Automatenbetrieb umgestellt.
„Unser Glück“ sagt Judith Thorn. Die elegant gekleidete Frau steht in Wäschebergen. T-Shirts Hemden, Kinderkleidchen, Jeans und Jacken stapeln sich in den ehemaligen Filialräumen. Vor der Tresortür haben sie mit einem Vorhang eine Umkleidekabine geschaffen.
„Sagen sie bloß nicht Kleider-Kammer“, stellt Judith Thorn klar. Das ist die „Kleiderbank“. Sie ist für alle da, ob geflüchtet oder nicht, gegen eine kleine Spende bekommt hier jeder Kleidung. Und weil Viele im Vorraum der Kleiderbank ihr Geld ziehen, sinkt die Hemmschwelle, mal reinzuschauen. Alle im Ort seien dabei, bringen Kleider und helfen mit, so Thorn.
„Die Flüchtlinge sind für unseren Ort sinnstiftend“, sagt Philipp Erdmann, der in der Kleiderbank gerade Regale aufbaut. „Wisse se“, sagt er in diesem Rhein-Hessischen Singsang, „wir leben vierzig Jahre hier im Ort, so viele Kontakte wie jetzt, hatte ich noch nie.“ Erdmann hat in eine Ausbildung zum Integrationslotsen gemacht und gelernt und wie man Geflüchteten mit Respekt aber ohne falsche Scheu begegnet. Er lässt das halbaufgebaute Regal einen Moment Regal sein und erzählt: Von seinem Vater, der nach dem Krieg aus Pommern geflüchtet ist und sich sein Leben lang gewünscht hatte dahin zurückzukehren. Das habe ihn, den Sohn, immer belastet. „Ich möchte ein bisschen dazu beitragen, dass diese Menschen wirklich ankommen“, sagt er.
Zurück in der Küche von Nicola Frowein. Mohammad Altaian und seine Frau Noor sind auf einen Tee da. Sie gehörten zu den ersten Angekommenen hier. In Aleppo hatten sie eine Textilfabrik mit 42 Mitarbeitern. Noor spricht fließend Englisch, Mohammad kann sich auf Deutsch verständigen. Ihre vier Kinder gehen in Schule und Kindergarten, die Initiative konnte ihnen eine Wohnung besorgen. Für die Froweins sind sie zu Freunden geworden. Henriette, die vierjährige Tochter von Nicola Frohwein, hat sich auf den Schoß ihrer Mutter geschoben. Sie stellt es eine Frage, die auch die Erwachsenen nicht beantworten können: „Mama, wie lange ist Mohammad eigentlich noch Flüchtling?“
15. June 2016, 13:00 Uhr